Post by Marco MoockEs geht da eher um die Definition.
|01.02.04 digital Pertaining to data that consist of digits as
|well as to processes and functional units that use those data.
|01.02.06 analog Pertaining to continuously variable physical
|quantities or to data presented in a continuous form, as well
|as to processes and functional units that use those data.
aus: ISO/IEC 2382-1 Information technology - Vocabulary -
Part 1: Fundamental terms.
Gleichzeitig ist aber auch eine ISO-Norm nur eine Quelle für
Definitionen und keine Form einer heiligen Wahrheit, die jeder
akzeptieren muß. (Und ich finde die ISO-Definitionen nicht
immer besonders gelungen.)
Letztendlich muß man sich /mit seinem Gesprächspartner auf
die zu verwendenden Bedeutungen einigen/. Zum Beispiel haben
Russen und Amerikaner sehr lange darüber gesprochen, was
genau ein "Mehrfachsprengkopf" ist.
Zu diesem Thema habe ich noch einen etwas längeren Text
geschrieben, der sich aber nicht speziell auf "digital"
bezieht:
Gelegentlich wird nach einer Begriffsdefinition gesucht, um zu
bestätigen, daß eine bestimmte Auffassung von einem Begriff
»richtig« sei.
Beispielsweise schrieb Carsten Krüger sinngemäß:
»Wo finde ich eine Definition eines Informatikpapsts,
die explizit besagt, daß eine Programmiersprache
turingmächtig sein muß?«
Zunächst hat jeder Sprecher oder Autor das Recht, seine Begriffe
selber zu definieren.
Es gibt im allgemeinen keine endgültige Autorität, die einen
Begriff für andere bindend festlegen könnte.
In Zusammenhang mit Definitionen gibt es keine absolute Wahrheit,
sondern nur Vereinbarungen einzelner Personen oder Personengruppen.
In guten Texten ist bei Begriffsdefinitionen immer erkennbar
aus welcher Quelle sie stammen. Diese Quelle kann der Text
(beziehungsweise sein Autor) selber sein oder eine andere,
explizit angegebene Quelle (eine Veröffentlichung oder
wenigstens eine bestimmte Person).
Nach diesen allgemeinen Klarstellungen folgen nun noch einzelne
Aspekte:
Vereinbarungen
Sobald ein Autor für einen Werkteil einen Begriff ausdrücklich
definiert hat, kann man diese Definition dann für diesen
Werkteil als gültig ansehen.
Das Gleiche gilt, wenn mehrere Personen eine entsprechende
Erklärung abgegeben haben, also insbesondere bei vertraglicher
Vereinbarung einer bestimmten Begriffsdefinition.
Gebrauch
Der Gebrauch in einem Fachgebiet kann einem Begriff eine bestimmte
Bedeutung geben. Allerdings ist diese manchmal nur unscharf
definiert. Fängt man an, nach Details zu fragen, so findet man
manchmal, daß diese nicht immer allen Verwendern klar sind.
Wissenschaftliche Arbeiten
In wissenschaftlichen Arbeiten wird bei Definitionen so vorgegangen,
daß entweder klargestellt wird, daß diese vom Autor der Arbeit
selber stammen, oder eine bestimmte Quelle (also ein anderen Autor)
für sie angegeben wird. Beides ist gleichermaßen legitim.
Prägung
Wer sich ein neues Wort oder eine neue Phrase ausdenkt, die
bisher noch nicht verwendet wurde, hat ein besonderes Recht,
dieser eine Bedeutung zu geben und darf insofern als maßgeblich
für ihre (ursprüngliche, eigentliche) Bedeutung angesehen werden.
Autorität
Die Berücksichtigung von Autorität wird manchmal auch als
Trugschluß »Argumentum ad verecundiam« angesehen. Dennoch kann man
sie hier nicht ganz verwerfen: Wenn es um die Frage geht, welcher
Sprachgebrauch üblich ist, wird man einer anerkannten Autorität
nämlich Kenntnis des Üblichen zubilligen. So hat ein Doktor oder
Professor ja meist diverse Prüfungen bestanden, in denen seine
Fachkenntnisse mit günstigem Ergebnis untersucht wurden.
Allerdings kann dies dann beispielsweise scheitern, wenn
die Autorität bewußt eigene - vom Üblichen abweichenden -
Definition setzt, es weitere gleichrangige Autoritäten mit
anderen Definitionen gibt oder die Autorität in einer Sache
durch eigene Interessen so verstrickt ist, daß sie durch
abweichende Definition bestimmte Ziele verfolgen will.
Rechtsprechung
In der Rechtsprechung mag ein Begriff in einer Rechtsnorm noch
so ungenau sein, meist erhält man am Ende ein Urteil. Wenn dies
rechtskräftig geworden ist, dann muß man das Gericht, von dem
es stammt, insofern als Quelle der Begriffsdefinition ansehen.
Allerdings kann man die Definition von Begriffen einer relevanten
Rechtsnorm einem Urteil nicht immer eindeutig entnehmen. Genauso
ist es möglich, daß ein anderes Gericht in einem anderen Fall
dann wieder eine andere Definition zugrundelegt.
Normen
Normen einer anerkannten Organisation, wie der DIN oder der
ISO, definieren auch Begriffe. Jedoch handelt es sich bei
diesen Organisationen auch nur um Personen, die im allgemeinen
lediglich das Jedermannrecht zur Begriffsdefinition haben.
Wenn Normen Vertragsbestandteil werden sollen, so muß dies
ausdrücklich vereinbart werden, wenn diese Normen Rechtskraft
entfalten sollen, so bedarf dies einer weiteren Rechtsnorm.
Dann gilt das oben unter »Vereinbarungen« Gesagte.
Außerdem gilt für eine Normorganisation das unter »Autorität«
Gesagte. Wenn eine Norm das Ergebnis der Diskussionen
einer Mehrheit aller relevanter Personen (einschließlich
Organisationen) zusammenfaßt, kann man ihr allerdings mit
einem gewissen Recht etwas Autorität zusprechen.
Es gibt außerdem verschiedene international beachtete
normengebende Organisationen, deren Definitionen untereinander
nicht immer verträglich sein müssen.
Standards
Übliche Verkehrsgewohnheiten werden manchmal auch als
»Industriestandard« bezeichnet und manchmal auch schriftlich
festgehalten. Es gilt das unter »Vereinbarungen« und
»Gebrauch« Gesagte.
Mathematik
Die Mathematik gilt oft als eine Disziplin der »eindeutigen«
Begriffe.
Aber auch hier lassen sich leicht Beispiele autorenspezifischer
Begriffe finden.
Schon der fundamentale Begriff »Funktion« ist bei dem einen
Autor eine funktionale Relation und bei dem anderen ein
Tripel aus einer funktionalen Relation und zwei Mengen (was
andere »Abbildung« nennen.)
Auch die Frage, ob die Menge N der natürlichen Zahlen die Null
enthält, wird von jedem Autor oder Dozenten unterschiedlich
festgelegt. Es gibt zwar eine DIN-Norm, die besagt, daß die
Menge N die Null enthält, aber dadurch ist niemand gebunden.
Peano, von dem die maßgeblichen Axiome stammen, hat die
Null nur manchmal zu den natürlichen Zahlen gezählt.
Wenn also schon in der Mathematik grundlegende Begriffe nicht
autorenübergreifend definiert sind, dann wird klar, daß man
dies in anderen Disziplinen umso weniger erwarten darf.
Laienglaube
Es ist ein gelegentlich anzutreffender Laienglaube, daß es eine
»objektiv richtige« Definition eines Begriffs oder eine »offizielle
Definition« in einem Fachgebiet gäbe und die einzelnen Quellen
sich nur darin unterschieden, wie richtig sie diese wiedergeben.
Inzwischen sollte aber klar geworden sein, daß es keine von
Menschen unabhängigen absoluten Begriffe gibt und letztendlich
jeder Autor oder Sprecher des Recht hat, Begriffe zu definieren
(wobei er sich vernünftigerweise nicht zu oft und nicht ohne
guten Grund vom üblichen Sprachgebrauch entfernen sollte).
Selbst in der Mathematik sind Begriff, wie »Funktion« oder
»Menge der natürlichen Zahlen« nicht »offiziell« für das
Fachgebiet definiert, sondern vom Autor abhängig.
Schule
In der Schule sollte man die vom Lehrer gegebenen Definitionen
akzeptieren, wenn diese sich in dem Spielraum befinden,
den der Gebrauch in einem Fachgebiet zuläßt. Erst wenn eine
Definition in Widerspruch zu dem üblichen Gebrauch steht oder
in sich selbst widersprüchlich oder unverständlich ist, kann
es sinnvoll sein zu protestieren.
Werkzeuge, Implementationen, Systeme, Sprachen
Wenn man mit einem bestimmten Werkzeug arbeitet, dann liegt es
nahe, die Begriffe zu verwenden, die dessen Hersteller im Handbuch
gebraucht, wenn man mit Dritten über dieses Werkzeug spricht.
Genauso wird die Bedeutung von Begriffen in Diskussionen über
eine durch eine Spezifikation festgelegte Sprache im allgemeinen
durch die Spezifikation dieser Sprache festgelegt.
So weicht die Definition des Wortes »object« in »ISO/IEC
9899:1999 (E)« von der Bedeutung von »object« im Sinne von
»object-oriented programming« ab, sollte aber bei Diskussionen
um die Programmiersprache C zugrundegelegt werden.
Widerspruchsfreiheit
In dem obigen Text wurde stets vorausgesetzt, daß die als
»Begriffsdefinitionen« auftretende Teile einer Quellen
frei von Widersprüchen sind, da man sonst ja nicht eindeutig
verstehen kann, was gemeint ist, und es sich dann nicht
um Begriffsdefinitionen handelt.
Professoren
Gelegentlich wird Hochschulprofessoren ein besonderes Recht zur
Definition von Begriffen ihres Fachbereichs zugemessen, doch
haben sie dies nur in dem Sinne, wie jedermann dies hat. Die
grundgesetzliche Forschungsfreiheit beschränkt sich nicht
auf Hochschulprofessoren.
Vagheit
Oft ist es auch erst eine gewisse Vagheit eines Begriffes, die es es
möglich macht, diesen einzusetzen. Sie erlaubt es, den Begriff auch
in Grenzfällen oder metaphorisch einzusetzen, ohne erst komplizierte
begriffsanalytische Untersuchungen vornehmen zu müssen. Sie macht es
auch manchmal mögliche, Aussagen eine gewisse Unschärfe zu verleihen,
die selber angemessener Teil der Aussage sein soll. Sucht der Hörer
sich aus einer unscharfen Aussage das vermutlich Gemeinte heraus, so
kann diese auch oft viel kürzer sein als eine eindeutigere Aussage.
Anhang: Beispiel eines Begriffskonflikts
1819 verweigerte ein Händler die Zahlung einer Fischproduktabgabe
auf Walöl, da ein Wal kein Fisch sei. Ein Gericht urteilte
schließlich, daß ein Wal ein Fisch sei. Später legte dann
ein Gesetz fest, daß ein Wal kein Fisch ist. (Nach D. Graham
Burnett in »Trying Leviathan: The Nineteenth-Century New
York Court Case That Put the Whale on Trial and Challenged
the Order of Nature«; nach http://blogfishx.blogspot.com/
2007/12/science-vs-religion-clash-is-whale-fish.html)
Anhang: Beispiel eines physikalischen Fachbegriffs
Nach Hans-Bernhard Broeker hat der Begriff »Vakuum« in den
verschiedenen Gebieten der Physik ganz unterschiedliche Bedeutungen:
Kosmologie: intergalaktisches Medium
SRT: völlig leere Minkowski-Raumzeit
ART: materiefreier Bereich einer möglichen Raumzeit
QFT: Grundzustand |0> fuer alle Teilchenzahloperatoren
Festkörperphysik: mittlere freie Weglänge > Laborradius
Roland Neuhaus weist darauf hin, daß keines dieser Vakuen so
in der Natur vorkommt (aber das letzte eventuell doch). In der
Laborphysik mit Vakuumkammern (»UHV«) und der Umgangssprache hat
der Begriff »Vakuum« dann wieder jeweils eine andere Bedeutung.